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  • AutorenbildRafael Heinen

«Ich heule heute noch oft»

In der Ahnenmusik-Szene gehört es dazu, dass man sich jährlich mit Gleichaltrigen misst. Zwei junge Pfeiferinnen erzählen von ihren emotionalen Achterbahnfahrten.


Die Sektion Rhone freut sich mit Sinja Jossen.


Alena Stoffel ist 16 Jahre alt und in ihrem Alter die beste Pfeiferin des Oberwallis. Am diesjährigen Oberwalliser Tambouren- und Pfeiferfest in Stalden schaffte sie es zuoberst aufs Treppchen – mit mehr als zwei Punkten Vorsprung. Diesen beachtlichen Vorsprung schaffte die junge Pfeiferin nur dank ihres Willens und Ehrgeiz, der sich in den letzten Jahren erst entwickelte. Anfangs war Alena Stoffel keine fleissige Pfeiferin: «Ich habe nicht gerne geübt», sagt sie. Ihre Eltern hätten sie aber auch nie dazu gezwungen. «Sie sagten immer, ich mache das für mich und nicht für sie», so Stoffel.


Alena Stoffel stammt aus einer Ahnenmusik-Familie. Ihr Grossvater war jahrelang Fähnrich der Sektion Rhone. Ihre Grossmutter ist Ehrenmitglied. Ihre Mutter führt seit Jahren das Sekretariat der Sektion Rhone. «Mein Vater hat mich an die Oberwalliser Feste mitgenommen und dann bin ich da reingewachsen», erklärt sie ihre Anfänge.


In der 1. Primarklasse begann sie mit dem Pfeifen. Im Jahre 2016 ging sie dann zum ersten Mal auf den Wettkampf. «Alle sagten mir, dass sei eine gemütliche Sache. Zwei Stücke vorspielen und gut ist», so Stoffel. Als damals erst 11-Jährige holte sie sich als 12. Platzierte ihre erste Kranzauszeichnung. «Das war sehr emotional», ordnet sie das Geschehene rückblickend ein. Sie sei locker auf das Wettspiel gegangen. Nervosität sei bei ihr sowieso nie ein grosses Problem gewesen.


Alena Stoffel wartet auf die Bekanntgabe ihres Resultats.


In der Folge pfiff sie normal weiter. Sie besuchte einmal wöchentlich die Musikschule und war regelmässig an den Übungen der Tambouren und Pfeifer. Im Jahr 2018 erreichte sie an den internen Wettspielen in Brig – ein Einordnungs-Wettspiel vier Wochen vor dem Oberwalliser – den zweiten Rang. «Danach wurde ich am Oberwalliser in Saas-Balen als Favoritin gehandelt», so Stoffel. Damals habe sie das aber noch nicht so eng gesehen und wurde schlussendlich Vierte – vor allem aber in ihrem Stolz verletzt. «Ich wusste seit dem Internen in Brig, wie es sich anfühlte, auf dem Podest zu stehen.» Die erste hinter dem Podest zu sein war hart. Den folgenden Sommer habe sie täglich zum Üben und Drillen genutzt.


Zwei Wochen nach dem Oberwalliser Tambouren- und Pfeiferfest 2018 ging es mit dem Verein nach Bulle ans Eidgenössische Fest. Da erreichte die Sektion Rhone in der Kategorie Ahnenmusik den dritten Rang. «Das war so emotional. Da ist der Funken gesprungen.» Von da an musste ihre Mutter nicht mehr sagen, sie mache es für sich selbst. Von da an sagte ihre Mutter: «Hör auf mit Üben.» Stoffel war wie von den Hunden gebissen und investierte nun täglich Zeit in ihr Hobby – ins Pfeifen.


Das Pfeifen übernahm einen hohen Stellenwert in ihrer Tagesplanung. Zur Mittagspause kam sie nach Hause. Bis Viertel nach zwölf hatte sie Zeit zum Essen. Danach fünf Minuten, um sich für den Nachmittag bereitzumachen. Die folgenden 30 Minuten reservierte sie täglich fürs Üben. Falls das Abendprogramm es zuliess, übte sie am Abend noch weiter. «Es hat mich einfach gepackt», sagt sie.

In ihrem Zimmer hat sie einen Ordner. Dort eingeordnet – alle Artikel, Ranglisten und Zeitzeugen der Ahnenmusik. «Immer wieder nehme ich den Ordner raus und beginne zu heulen», erklärt sie ihre Reise der Emotionen. Im Jahre 2019 hat sie den Internen Wettkampf in Brig gewonnen – mit einer halben Note Vorsprung. Alena Stoffel wusste, dass sie im Jahr zuvor Zweite in Brig war, dann am Oberwalliser «nur» Vierte. Sie gab in den letzten vier Wochen vor dem Fest nochmals Vollgas und wurde in Erschmatt ihrer Favoritenrolle gerecht. «Die Luft ist da meistens draussen, aber es ist die wichtigste Phase im Hinblick auf ein Wettspiel», erklärt Stoffel.


Der Aufwand lohnte sich, Stoffel schaffte in Erschmatt den Kategoriensieg. Danach kam Corona. Eine schwierige Zeit. «In der Musikschule überbrückten wir die Zeit indem wir neue Wege gingen. Wir haben klassische Musik gepfiffen und experimentiert. Im Nachhinein eine sehr wertvolle Erfahrung.»


Die Wettspiele im Sommer 2021 entschied sie wiederum für sich. Wegen Corona waren die Feierlichkeiten in einem veränderten digitalen Fest. «Der Einsatz von allen war enorm. Aber ein Festzelt kann man einfach nicht ersetzen», sagt die 17-jährige.


Die Nervosität ist bei Alena Stoffel nicht vor der Jury am höchsten. Sondern jeweils kurz vor der Rangverkündigung im Festzelt. «Da steigt mein Nervositätslevel ans Maximum», erklärt sie. Ihr ganzes Jahr ist auf das Wettspiel und das Wochenende ausgerichtet. So hat sie in diesem Jahr ihre Jahresprüfungen verschoben. Statt freitags in einem Schulzimmer, verbrachte sie den Freitag in Stalden – am ersten Oberwalliser Tambouren- und Pfeiferfest nach zwei Jahren Coronapause. Statt mündliche Prüfung vor einem Expertenteam, Wettspiel vor einer Jury.


«Ich weiss bereits im Oktober, was ich am Oberwalliser anziehen werde», so minutiös beschreibt sie ihre Vorbereitung. Alena Stoffel geniesst die Tage ungemein. Sie freut sich noch heute jeweils wie ein kleines Kind. Sie übernachtet während zwei Tagen am Ort des Oberwalliser Tambouren- und Pfeiferfestes. Von Nervosität, keine Spur. Nicht während ihrem Vortrag vor der Jury, nicht zuvor und auch nicht danach. Erst am Sonntagabend gegen 17 Uhr im Festzelt.


In diesem Jahr hat sie in ihrem Vortragsstück ein Fehler gemacht. «Ich war nicht zufrieden», sagt sie. Dementsprechend intensiver war die Nervosität vor der Rangverkündigung. Und doch hat es wieder gereicht. Locker sogar. Alena Stoffel sicherte sich den Kategoriensieg mit mehr als zwei Punkten Vorsprung. «Das war der bislang emotionalste Moment in meinem Pfeiferleben», sagt sie und will auch die nächsten Jahre weiterhin auf das Wettspiel gehen.



Die Gewinnerin der Kategorie, Alena Stoffel, wird von den Mitgliedern gefeiert.


Anders ist die Ausgangslage bei Sinja Jossen. Sie wohnt in Lalden und ist ein Jahr älter als ihre Kollegin Alena Stoffel. «Ich habe im zweiten Kindergarten mit dem Pfeifen begonnen, besuchte die Oberwalliser Musikschule und nahm an den Übungen teil», sagt die 17-jährige. Sie stammt ebenfalls aus einer musikalischen Familie. Ihre Mutter war zehn Jahre Pfeiferin in Visperterminen. Heute ist sie dort Ehrendame. Ihr Vater ist Mitglied der Musikgesellschaft Lauduna. Sinja Jossen schätzte die Ahnenmusik sehr. «Die Tambouren und Pfeifer sind mir immer in der Messe aufgefallen», so Jossen. Während der Messe sagte sie jeweils zu sich selbst: «Da will ich eines Tages ebenfalls dabei sein.»


Ihr erstes Wettspiel bestritt sie mit 9 Jahren 2014 in Ergisch. Sie war zwei Ränge hinter einer Kranzauszeichnung und trotzdem sehr zufrieden: «Für den ersten Wettkampf war das für mich sehr gut.» Ein Jahr später gab es in Bürchen für Sinja Jossen bereits den ersten Kranz. Sie wurde Achte. «Das war sehr emotional und ein Höhepunkt.» Bei Jossen ist die Anspannung vor dem Wettspiel präsent. Sobald sie aber jeweils mit dem Pfeifen beginne, sei sie wie im Film.



Sinja Jossen mit dem Kranz auf dem Kopf.


An den Wettspielen nimmt sie regelmässig Teil. «Ich finde es cool, wenn man da mitmacht.» Im Jahre 2016 platzierte sich Sinja Jossen erstmals auf dem Podest und holte in Saas-Grund den 3. Rang. Sie liess sich mit Stolz feiern. Ein Jahr später gewann sie die internen Wettspiele in Brig in ihrer Kategorie. Ein erneuter Podestplatz folgte 2018 in Saas-Balen. «Das Resultat ist wichtig, aber nicht das Wichtigste», so Jossen. An der Ahnenmusik schätzt sie vielmehr die Kameradschaft und das familiäre Umfeld.

So ging sie auch in diesem Jahr in Stalden wieder an die Wettspiele. Eine neue Heruasforderung erwartete sie. Das erste Mal startete sie in der höchsten Jungpfeiferinnenkategorie. Mit Respekt nahm sie am Wettkampf teil. Das Wettspiel ist Jossen dann bestens gelungen. Sie platzierte sich auf dem 3. Rang. «Ich hatte unglaubliche Freude.» Solange sie kann, will sie weiterhin an den Wettspielen teilnehmen, weil es ihr Spass macht. Viele Kränze und Auszeichnungen schmücken bereits jetzt schon ihr Zimmer.



 

Dieser Artikel ist zuerst in der Rhonezeitung erschienen und wurde nun online publiziert.


Die Rhonezeitung ist die Vereinszeitung der Sektion Rhone. Die Ausgabe im Jahr 2022 hat 64 Seiten und wurde insgesamt 1'750 mal gedruckt.



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